Mietminderung
Formaldehyd – Gefahren und Gegenmaßnahmen für Mieter
Bekannt, aber hartnäckig und versteckt
Tausende chemische Verbindungen lauern überall im Alltag. Auch der eigene Wohnraum stellt im Prinzip einen heiklen Cocktail aus verschiedensten Chemikalien dar, die in Verbindung oder im Einzelnen zum Teil schwerwiegende gesundheitliche Probleme mit sich führen können. Zu den bekannteren, aber eher ignorierten und dabei kaum aus den eigenen vier Wänden zu entfernenden Vertretern von jenen zählt Formaldehyd. Das Gas tritt an mitunter völlig unerwarteter Stelle hervor und kann, wenn es denn nachzuweisen ist, Mieter zur Anzeige – beim Vermieter oder aber Anwalt – berechtigen.
Vielseitiger Krankmacher
Die allgemeine Gesundheitsschädlichkeit der chemischen Verbindung CH2O mit der Bezeichnung Methanal ist seit Langem bekannt, dem Bundesgesundheitsamt beispielsweise seit den 70er-Jahren. Im Jahr 2004 stufte die World Health Organization (WHO) das stechend riechende, farblose Gas als krebserregend ein. Erst zehn Jahre später ist die EU dieser Ansicht gefolgt und hat Formaldehyd infolge neuer Erkenntnisse dahingegend bewertet, dass es „Krebs erzeugen und das Erbgut verändern kann“. Diese lapidar anmutende und dabei doch drastische Feststellung entspricht der Kategorie 2 gemäß der CLP-Verordnung. Die neue Einstufung wird noch nicht feststehende Auswirkungen auf verschiedenste Industriezweige haben: Formaldehyd dient hauptsächlich als Bestandteil von Klebstoffen für Holzwerkstoffe. Es kommt also sowohl innerhalb von Baustoffen, vor allem Spanplatten, als auch von Möbeln, jedoch zudem unter anderem in Textilien, Medikamenten, Kosmetikartikeln, Desinfektionsmitteln und – wie das Bundesamt für Risikobewertung mitteilt – Küchenutensilien vor.
Für Verbraucher ist es von besonderer Bedeutung, dass sich das selbst bei deutlich weniger als einem Milliliter pro Kubikmeter für den Menschen wahrnehmbare Gas nur langfristig abbaut. Durch Reaktion mit Wasser aus der Luft oder durch Reinigen aus Kunstharzen freigesetzt, belastet es von daher die Hygiene von Wohnräumen und die Bewohner über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg. Obwohl verschiedene Hersteller den Formaldehydgehalt in vielen Materialien in den letzten Jahren reduziert haben und verschärften Verordnungen unterliegen, so sind doch besonders mit dem Gas versetzte lange haltbare Bauteile – wie im Fall von Asbest – noch in Benutzung und nur bedingt austauschbar.
Das Gas kann deshalb vielerorts auch weiterhin zu folgenden Beschwerden und Krankheiten führen:
- Übelkeit
- Hustenanfällen (Asthma ist unklar)
- Augenreizungen
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
- vorübergehende Stimmungsschwankungen oder gar Depression
- Krebs
- Erbgutschäden
Was das Krebsrisiko betrifft, meldet das Umweltbundesamt, dass Versuche an Ratten ergeben haben, dass diejenigen Tiere, die den Stoff wiederholt und längerfristig eingeatmet hatten, Tumore in der Nasenhöhle bildeten. Die Einstufung in die höchste Kategorie 1A, der diejenigen Stoffe zugeordnet sind, die beim Menschen bekanntermaßen Krebs erzeugen, erfolgte bislang nicht. Grund dafür ist, dass immerhin einige, aber nicht alle bisherigen Studien bei exponierten Personen dies bestätigen konnten.
Schwankend: die erlaubten Grenzwerte
Die verschiedenen Gesundheitsorganisationen variieren in ihren Richtwerten, ab wann die Luft einen gesundheitsschädlichen Formaldehyd-Anteil aufweist: Während die WHO einen Wert von maximal 100 Mikrogramm pro Kubikmeter empfiehlt, hält das Bundesinstitut für Risikobewertung Werte bis zu 124 Mikrogramm für ungefährlich. Die Deutsche Gesellschaft Nachhaltiges Bauen wiederum setzt die 60 als Zielwert, zertifiziert jedoch Gebäude bis zur doppelten Menge. Weitere Informationen zur Diskussion, welche Grenzwerte für Formaldehyd empfohlen werden, finden Interessierte auf dieser Seite. Ganz allgemein bedeutet das, dass der Anteil auf jeden Fall zu hoch ist, wenn das Gas zu riechen ist. Sichere Werte liefern spezielle Messsets, die ab etwa 100 Euro bei Fachhändlern erhältlich sind.
Wie sollten sich die Bewohner verhalten, wenn feste Bauteile mit Formaldehyd belastet sind?
a) Für regelmäßige Lüftung sorgen
Regelmäßige Lüftung trägt dazu bei, dass sich die Konzentration des giftigen Gases zumindest reduziert. Häufiges Stoßlüften kommt, genauso wenn es um Schimmelvorbeugung geht, einer Zumutung gleich. Die effiziente Verringerung von Gerüchen, nicht nur dem von Formaldehyd, und zu hoher Feuchtigkeit ist auch aus jenem Grund laut creoven.de ein wesentlicher Vorteil moderner Lüftungsanlagen. Ist der Eigentümer nicht in der Lage, die verursachenden Bauteile oder Möbel zu entfernen, rät sich den Mietern letztlich jedoch nur der Auszug, um die eigene Gesundheit und die der Mitbewohner zu schützen, statt sich weiterhin dem Gas auszusetzen.
b) Mietminderung erwirken
Ist ein Auszug nicht möglich oder gewünscht, die etwaige Renovierungsmaßnahme aber noch ausstehend, sind Mieter durchaus berechtigt, die Miete um 25 oder 50 Prozent zu senken oder fristlos zu kündigen. Darüber haben deutschlandweit mehrere Gerichte innerhalb der vergangenen 30 Jahre entschieden. Voraussetzung war, dass der Wert über dem Richtwert des Bundesgesundheitsamtes von 0,1 Milliliter pro Kubikmeter (entspricht 0,1 ppm = parts per million bzw. 124 Mikrogramm pro Kubikmeter) lag. Geringfügige Belastungen hingegen führten in einigen Fällen zu gerichtlich erwirkter geringfügiger Mietminderung. Trotz zahlreicher Übereinstimmungen handelt es sich um Einzelurteile, sodass Mieter Vorsicht walten lassen, die Werte erst ermitteln und gegebenenfalls Experten zurate ziehen sollten, bevor sie eine Mietsenkung verlangen oder gar vor Gericht gehen. Entscheidend ist generell auch, ob die Mieter den Mietvertrag mit oder ohne Kenntnis von der Belastung abgeschlossen haben. Hier die wichtigen gesetzlichen Regelungen zur Mietminderung.
§ 536 Mietminderung bei Sach- und Rechtsmängeln
(1) Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht.
(1a) Für die Dauer von drei Monaten bleibt eine Minderung der Tauglichkeit außer Betracht, soweit diese auf Grund einer Maßnahme eintritt, die einer energetischen Modernisierung nach § 555b Nummer 1 dient. (2) Absatz 1 Satz 1 und 2 gilt auch, wenn eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder später wegfällt.
(3) Wird dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache durch das Recht eines Dritten ganz oder zum Teil entzogen, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. (4) Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum ist eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung unwirksam.
§ 536a Schadens- und Aufwendungsersatzanspruch des Mieters wegen eines Mangels
(1) Ist ein Mangel im Sinne des § 536 bei Vertragsschluss vorhanden oder entsteht ein solcher Mangel später wegen eines Umstands, den der Vermieter zu vertreten hat, oder kommt der Vermieter mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug, so kann der Mieter unbeschadet der Rechte aus § 536 Schadensersatz verlangen.
(2) Der Mieter kann den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn
1. der Vermieter mit der Beseitigung des Mangels in Verzug ist oder
2. die umgehende Beseitigung des Mangels zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Bestands der Mietsache notwendig ist.
§ 536b Kenntnis des Mieters vom Mangel bei Vertragsschluss oder Annahme
Kennt der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536a nicht zu. Ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat. Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536a nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält.
Bevor Sie eine Mietminderung durchführen, sollten Sie sich aber gründlich informieren (vgl. 10 wichtige Tipps zur Mietminderung).
Wie lässt sich eine zu hohe Formaldehyd-Belastung verhindern?
Eigentümer und Besitzer – Vermieter und Mieter – von Wohn- und Gewerberäumen haben mehr Möglichkeiten, gegen das Gas vorzugehen, als vielen von ihnen bewusst ist.
- Beim Einkauf von Möbeln, besonders Spanplatten, und anderen Produkten sollten Kunden auf Prüfsiegel wie „GS“, „Stiftung Warentest“ und speziell den „Blauen Engel“ achten. Mit diesem Gütezeichen versehene Artikel gelten als besonders gesundheits- und umweltschonend. Vorausgehende Recherchen auf entsprechenden verbraucherfreundlichen Ratgeberseiten erleichtern oft die Kaufentscheidung.
- Insgesamt sind Massivholzmöbel seltener mit Schadstoffen belastet.
- Bei unbehandelten Hölzern empfiehlt sich, auf künstliche Lasuren zu verzichten, sondern das Holz mit hochwertigen, natürlichen Ölen zu schützen.
- Viele Zimmerpflanzen sorgen für ein angenehmes Raumklima, da sie unter anderem auch Formaldehyd teilweise binden können.
- Bohrlöcher, vor allem in Spanplatten, sollten unbedingt versiegelt oder umgeklebt werden.
- Eigentümer bzw. Mieter gehen auf Nummer sicher, wenn sie statt auf Laminat oder auch PVC auf Linoleum, Kork, Dielen oder Parkett setzen, gegebenenfalls aber nur mit Öl, nicht mit Lasuren oder Lacken als Pflegemittel arbeiten.
- Bei Neubau bzw. Renovierung empfiehlt sich, mit natürlichen Stoffen wie etwa Flachs zu dämmen oder auf Tapezierung zu verzichten.
- Da Formaldehyd bei verschiedensten Verbrennungsvorgängen freigesetzt wird, kann mit Rauchverzicht und wenig Kerzenlicht dafür gesorgt werden, dessen Anteil in der Luft zu verringern.
Bearbeitungsstand: 30.03.2016
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